VERBRAUCHERRECHTE UND ABGASPROZESSE
Abgasskandal – Benützungsentgelt immer zulässig?
In tausenden Abgasprozessen stellt sich derzeit die Frage, ob und in welcher Höhe sich betrogene Käufer anspruchsmindernd „anrechnen“ lassen müssen, dass sie die Kfz seit deren Erwerb benützt haben. Hat wirklich jeder Käufer in allen Fällen Benützungsentgelt zu leisten? Auch bei bloßer Preisminderung und „kleinem Schadenersatz“?

Überblick:
Benützungsentgelt bei Vertragsauflösung / „großem“ Schadenersatz
Benützungsentgelt bei Vertragsanpassung / „kleinem“ Schadenersatz
Judikatursplitter
Der dt BGH hat in VI ZR 252/19 v 25. 5. 2020 festgehalten, dass die Käufer einen direkten Anspruch gegen die VW AG auf Rückerstattung ihres an den jeweiligen Verkäufer entrichteten Kaufpreises gegen Rückgabe ihrer Kfz unter Abzug eines allfälligen Nutzungsentgelts im Rahmen des sog Vorteilsausgleichs haben, in VI ZR 40/20 v 06.07.2021 ausgeführt, dass der Geschädigte die Kaufsache aber auch behalten und als Schaden vom Hersteller jenen Betrag ersetzt verlangen könne, um den er das Kfz – gemessen am objektiven Wert von Leistung und Gegenleistung im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses – zu teuer erworben habe (kleiner Schadenersatz), und in VIa ZR 100/21 v 24.01.2022 ergänzt, dass bei der Bemessung des kleinen Schadenersatzes auch die vom Geschädigten gezogenen Nutzungen und der Restwert des Kfz schadensmindernd anzurechnen seien, allerdings erst dann und nur insofern, als sie den tatsächlichen Wert des Kfz bei Abschluss des Kaufvertrages übersteigen würden.
Der OGH hat hingegen in der (nicht zum Abgasskandal ergangenen) E 8 Ob 56/21z v 26.05.2021, wo der Pkw wegen Weiterveräußerung nicht mehr in natura zurückgegeben werden konnte, festgehalten, dass vom Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises der objektive Wert der nicht mehr rückstellbaren Sache im Zeitpunkt der Veräußerung abzuziehen sei, wobei für die Rückabwicklung der Leistungen im Weiterverkaufsfall zwei Möglichkeiten in Frage kämen: a) die Anrechnung des erzielten Weiterverkaufspreises (bzw objektiven Zeitwerts im Zeitpunkt des Weiterverkaufs, wenn dieser abweiche) zzgl eines angemessenen Benützungsentgelts oder b) die Anrechnung des objektiven Werts der mangelhaften Sache im Zeitpunkt des rückabzuwickelnden Ankaufs. In der Variante a) erhalte der Verkäufer den Zeitwert des weiterveräußerten Kfz in Geld; zusätzlich müsse der Käufer Benützungsentgelt leisten, wobei der Verkäufer aber insgesamt nicht mehr zurückerhalten könne, als er ursprünglich geleistet habe, sodass der Anspruch insgesamt seine Grenze nach oben im objektiven Wert der verkauften Sache finde. In der Variante b) erhalte der Verkäufer mit dem objektiven Wert der Sache im Verkaufszeitpunkt bereits das volle Äquivalent seiner erbrachten Leistung zurück, für eine zusätzliche Anrechnung eines Vorteils des Käufers bestehe hier kein Raum.
Benützungsentgelt bei Vertragsauflösung / „großem“ Schadenersatz
Macht ein betrogener Kfz-Käufer gegen seinen betrügerischen Vertragspartner Vertragsauflösung geltend, so wird der Vertrag mit ex tunc Wirkung beseitigt, sodass auch die wechselseitig erbrachten Leistungen nach den §§ 877 bzw 1435 ABGB rückabzuwickeln sind – der Käufer stellt das Kfz zurück und hat auch Benützungsentgelt zu leisten, da er das Kfz im Zeitraum zwischen Übergabe und Rückstellung – obligatorisch betrachtet – (rückwirkend) rechtsgrundlos benützt hat. Dass dabei der Rückstellungsanspruch des Verkäufers auf das gebrauchte Kfz samt Anspruch auf Benützungsentgelt durch den objektiven Wert der verkauften Sache begrenzt wird, weil der Verkäufer aus dem Titel der Rückabwicklung nicht bereichert werden, sondern nicht mehr zurück erhalten soll, als er ursprünglich geleistet hat, hat der OGH in 8 Ob 56/21z v 26.5.2021 zutreffend klargestellt. Und dies mE gilt auch, wenn der Käufer bei Erwerb des Kfz von einem Dritten schadenersatzrechtlich unmittelbar den originär betrügerisch handelnden Hersteller ex delicto belangt.
Benützungsentgelt bei Vertragsanpassung / „kleinem“ Schadenersatz
Fraglich bleibt, ob betrogene VW Kunden auch bei bloßer Vertragsanpassung wegen Irrtums bzw List, gewährleistungsrechtlicher Preisminderung oder schadenersatzrechtlicher Geltendmachung nur des Differenzschadens zwischen dem Wert der mangelfreien und mangelhaften Sache wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung etwaiges Benützungsentgelt leisten bzw sich „anspruchsmindernd“ anrechnen lassen müssen. Und gilt dies auch, wenn betrogene Kunden ihren Schadenersatzanspruch nicht gegen ihre Vertragspartner, sondern direkt gegen den Kfz-Hersteller richten, dessen originär betrügerisches Handeln den Schaden der Kunden verursacht hat?
Vertrags(Preis)anpassung wegen Irrtums / List reduziert zwar den Kaufpreis des Vertrages rückwirkend, lässt aber den Kaufvertrag ansonsten inhaltlich völlig unberührt. Der Käufer bleibt Eigentümer der Kaufsache, welche er nun nur – rückwirkend – zu dem um die Preisminderung reduzierten Betrag erworben hat. Dies bedeutet aber auch, dass die Nutzung des Kfz durch dessen Käufer durchgehend auf einem gültigen Rechtsgrund beruhte, der Käufer das Kfz als Inhaber, Besitzer und Eigentümer durchgehend rechtmäßig benützte und daher auch eine Anrechnung eines aus dem Gebrauch dieser (eigenen) Sache resultierenden Vorteils natürlich nicht in Betracht kommt. Damit ist für Benützungsentgelt im Rahmen einer Vertragsanpassung nach §§ 870, 872 und 877 ABGB kein Raum. Dies gilt auch für gewährleistungsrechtliche Preisminderung. Denn auch hier bleibt der ursprünglich geschlossene Vertrag abgesehen von der Preisreduktion inhaltlich unverändert, es wird ausschließlich die durch den Mangel der übergebenen Sache gestörte subjektive Äquivalenz durch Anpassung des vertraglich bedungenen Preises an die wahren Gegebenheiten mit obligatorischer ex-tunc Wirkung wiederhergestellt. Der Käufer bleibt Eigentümer der Kaufsache, welche er nun nur – rückwirkend – zu dem um die Preisminderung reduzierten Betrag erworben hat. Damit beruht auch hier die Nutzung des Kfz durch dessen Käufer durchgehend auf einem gültigen Rechtsgrund, der Käufer hat das Kfz als Inhaber, Besitzer und Eigentümer durchgehend rechtmäßig benützt. Bei Verbrauchergeschäften ist zudem zu beachten, dass der EuGH in Rs C-404/06, Quelle v 17.4.2008 festgehalten hat, dass ein Benützungsentgelt auf Seiten des Übernehmers nur in Fällen der Wandlung (Vertragsauflösung) in Frage kommt. Und schließlich kann der Käufer eines abgasmanipulierten Kfz gegen seinen Verkäufer die Vertragsanpassung auch im Wege des Schadenersatzes begehren, wobei aber auch hier der Vertrag aufrecht bleibt und obige Prinzipien gelten.
All diese Aspekte entfalten auch gegenüber dem Hersteller des abgasmanipulierten Kfz Relevanz. Dabei ist zunächst zu beachten, dass die VW AG die Vermögensschäden durch die von ihr auch intendierten Vertragsabschlüsse der Käufer durch das Inverkehrbringen der abgasmanipulierten Kfz gezielt (sorgfaltswidrig und vorsätzlich) verursacht hat, sodass daher auch für die Schadensbemessung der Käufer, aber auch für deren Wahlmöglichkeiten bei der Ausgestaltung der Schadensbehebung jene Rechtsverhältnisse bzw Sphären heranzuziehen sind, aus denen die eigentlichen Schäden stammen. Auch der BGH hat ja richtigerweise festgehalten, dass das Verhalten der VW AG einer unmittelbaren Täuschung gegenüber dem Käufern gleichzuhalten ist und daher ein Anspruch auf Rückzahlung des gesamten Kaufpreises gegen Rückstellung des Kfz besteht. Damit wird im Ergebnis – materiell betrachtet – eine „Rückabwicklung des ungewollten Vertrages Verkäufer-Käufer“ zwischen dem Käufer und der VW AG und damit eine Gesamtbeseitigung des eingetretenen Schadens herbeigeführt. Genauso wie sich der Käufer aber auch gegenüber dem unmittelbar betrügerischen Vertragspartner als Alternative zur Vertragsaufhebung und Gesamtrückabwicklung auf bloße Vertragsanpassung wegen Irrtums, List, aber auch Preisminderung nach § 932 ABGB „zurückziehen kann“ und genauso wie sich auch in diesen Fällen der verbleibende Schadenersatzanspruch(betrag) etwa nach § 874 ABGB nach der relativen Berechnungsmethode bemisst, genauso kann mE auch der Käufer bei Geltendmachung seines Schadensatzanspruchs gegen die VW AG – quasi als Minus gegenüber dem Gesamt“schadenersatz“begehren – bei Aufrechterhaltung des Vertrags nur den verbleibenden Restschaden in Höhe des „Preisminderungsbetrages“ aus dem schädigenden Vertrag begehren. Auch diese Sichtweise hat ja auch der BGH, wenn er in mittlerweile drei E festgehalten hat, dass der Käufer gegen den Hersteller auch den bloß „kleinen Schadenersatz“ geltend machen kann, der sich nach der Wertdifferenz zwischen nicht manipuliertem und abgasmanipuliertem Kfz bemisst. Der BGH hat allerdings in VIa ZR 100/21 v 24.1.2022 ausgesprochen, dass Nutzungsvorteile und der Restwert des Kfz auf den kleinen Schadenersatz erst dann und nur insoweit anspruchsmindernd anzurechnen seien, als sie den tatsächlichen Wert des Kfz bei Abschluss des Kaufvertrages übersteigen. Diese Aussage ist schon für das dt Recht höchst zweifelhaft, für das österr Recht aber jedenfalls abzulehnen. Denn gegen eine solche Vorteilsanrechnung des Gebrauchsnutzens spricht schon auf den ersten Blick der Umstand, dass der Käufer, der nur den sog kleinen Schadenersatz geltend macht, nur jenen Schaden einklagt, welcher aufgrund betrügerisch veranlasster Abgasmanipulation aus dem daraus resultierenden Minderwert des Kfz folgt. Er hat aber das Kfz nicht zurückzustellen, sondern das Kfz durchgehend rechtmäßig benützt, aus diesem Gebrauch des (eigenen!) Kfz auch keinen anrechenbaren Vorteil iSd Lehre von einer Vorteilsanrechnung gezogen und daher auch kein Benützungsentgelt zu leisten.
Ergebnis
Käufer abgasmanipulierter Kfz haben kein Benützungsentgelt zu leisten, wenn sie gegen ihren Verkäufer Preisreduktion durch Vertragsanpassung wegen Irrtums nach den §§ 871 f ABGB, wegen List nach den §§ 870, 872 ABGB oder wegen Preisminderung nach § 932 ABGB geltend machen. In all diesen Fällen wird der Kaufvertrag zwar durch eine Preisreduktion modifiziert, bleibt aber davon abgesehen inhaltlich unverändert aufrecht und damit gültiger Titel für den Eigentumserwerb des Käufers. Daher muss der Käufer das Kfz auch nicht an den Verkäufer zurückstellen, er hat das Kfz durchgehend rechtmäßig benützt und daher kein Benützungsentgelt zu leisten. Dies gilt auch, wenn der Käufer schadenersatzrechtlich nur den sog kleinen Mangelschaden gegen seinen Verkäufer geltend macht, aber auch, wenn er den kleinen Schadenersatz auf die Wertdifferenz zwischen nicht abgasmanipuliertem und abgasmanipuliertem Kfz nach § 874 ABGB und allenfalls §§ 1295 Abs 2 ABGB iVm 146 StGB direkt vom betrügerisch agierenden Schädiger (Hersteller) begehrt, denn auch hier sollen die Käufer abgasmanipulierter Kfz schadenersatzrechtlich so stehen, wie sie auch gegenüber ihren Vertragspartnern im vom Schädiger betrügerisch veranlassten schädigenden Vertrag stehen würden.
Artikel vollumfänglich finden Sie in der kommenden Printausgabe 4/2022 der "Zeitschrift für Verbraucherrecht" (VbR).
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