LEISTUNGSSTÖRUNGEN BEI LUFTBEFÖRDERUNG
Ansprüche nach Fluggastrechte-Verordnung
Die Fluggastrechte-VO 261/2004/EG ist bereits seit 2005 in Kraft, ihre Auslegung ist jedoch nach wie vor komplex. In seinem Fachbeitrag erläutert Sebastian Löw die Ansprüche des Fluggastes unter Berücksichtigung der jüngeren Rechtsprechung des EuGH.

Die Fluggastrechte-Verordnung findet Anwendung, wenn der Abflughafen oder – sofern ein Luftfahrtunternehmen der Gemeinschaft den Flug ausführt – der Zielflughafen im Unionsgebiet liegt. Kommt es zu einer der in Art 1 Abs 1 genannten Leistungsstörungen in Form der Nichtbeförderung des Fluggastes, der Annullierung oder Verspätung des Fluges können dem Fluggast „Mindestrechte“ aus der Verordnung erwachsen.
Nichtbeförderung von Fluggästen
Eine „Nichtbeförderung“ liegt nach Art 2 lit j vor, wenn sich das Luftfahrtunternehmen weigert, einen Fluggast zu befördern, der sich ordnungsgemäß am Flugsteig eingefunden hat, sofern keine vertretbaren Gründe für die Beförderungsverweigerung gegeben sind. Hintergrund der Nichtbeförderung ist zumeist eine Überbuchung.
Daneben stellt allerdings auch jedes andere Szenario, in dem es „ohne vertretbare Gründe“ zu einer Beförderungsverweigerung des Fluggastes kommt, eine Nichtbeförderung dar. Art 2 lit j nennt als Beispiel für eine berechtigte Verweigerung Gründe im Zusammenhang mit der Gesundheit, der allgemeinen oder betrieblichen Sicherheit sowie mit unzureichenden Reiseunterlagen.
Nach dem OGH stellt die unberechtigte Verweigerung der Beförderung eines Fluggastes auch eine Beförderungsverweigerung gegenüber mitreisenden Familienmitgliedern dar, wenn ihnen dadurch die Inanspruchnahme des Fluges nicht zumutbar ist – etwa, weil einem minderjährigen Kind oder dem Ehemann bei Antritt des gemeinsamen Urlaubs die Beförderung verweigert wird.
Annullierung von Flügen
Eine Annullierung (Art 5) liegt gem Art 2 lit l vor, wenn ein geplanter Flug, für den zumindest ein Platz reserviert war, nicht durchgeführt wird. Weiters stellen nach der Rechtsprechung des EuGH jene Fälle eine Annullierung dar, in denen eine bereits gestartete Maschine wieder zum Ausgangsflughafen zurückkehrt oder auf einem anderen Flughafen als dem geplanten Zielflughafen landet.
Auch eine Vorverlegung des Flugs um mehr als eine Stunde ist nach dem EuGH als Annullierung zu werten; nicht aber eine bloße Verspätung, weil dabei der geplante Flug nicht aufgegeben wird.
Flugverspätungen
Art 6 sieht im Falle der Verspätung weniger umfassende Fluggastrechte als bei Annullierung vor. Die Faustregel ist: Je geringer die Entfernung ist, desto eher entstehen Fluggastrechte und je größer die Verspätung ist, desto umfangreicher sind die Fluggastrechte. Mindestvoraussetzung ist eine Verspätung von zwei Stunden.
Das sind die Fluggastrechte
Liegt eine relevante Leistungsstörung vor, können dem Fluggast ein Ausgleichsanspruch (Art 7) und/oder ein Anspruch auf Unterstützungs- (Art 8) sowie Betreuungsleistungen (Art 9) zustehen.
1. Ausgleichsansprüche
Dem Fluggast steht nach Art 4 Abs 3 bei Nichtbeförderung ein Ausgleichsanspruch zu. Selbiges gilt grundsätzlich auch bei Annullierung des Flugs (Art 5 Abs 1 lit c), allerdings vorbehaltlich der Ausnahmetatbestände des Art 5 Abs 1 lit c i-iii:
Demnach entfällt der Ausgleichsanspruch, wenn der Fluggast über die Annullierung mindestens zwei Wochen vor der planmäßigen Abflugzeit unterrichtet wird (i). Erfolgt die Unterrichtung in einem Zeitraum zwischen zwei Wochen und sieben Tagen vor der planmäßigen Abflugzeit, hat sie zugleich ein Angebot zur anderweitigen Beförderung zu enthalten. Diese muss es dem Fluggast ermöglichen, nicht mehr als zwei Stunden vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und das Endziel höchstens vier Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen (ii). Weniger als sieben Tage vor der planmäßigen Abflugzeit muss es die angebotene anderweitige Beförderung ermöglichen, nicht mehr als eine Stunde vor der planmäßigen Abflugzeit abzufliegen und das Endziel höchstens zwei Stunden nach der planmäßigen Ankunftszeit zu erreichen (iii).
In der Rechtssache Sturgeon und Böck hielt der EuGH fest, dass sich Fluggäste, die aufgrund verspäteter oder annullierter Flüge anderweitig befördert werden, hinsichtlich der Ausgleichsleistung in einer vergleichbaren Situation befinden. Letzteren stehe daher ab einer Verspätung von drei Stunden ebenfalls ein Ausgleichsanspruch gem Art 7 (analog) zu.
Nach Art 5 Abs 3 entfällt der Ausgleichsanspruch allerdings, wenn die Annullierung oder Verspätung auf das Vorliegen außergewöhnlicher Umstände im Sinne des Art 5 Abs 3 zurückzuführen ist. Als mögliche außergewöhnliche Umstände wurden vom EuGH etwa angesehen: ein Reifenschaden durch einen Fremdkörper am Rollfeld, Vogelschlag sowie gewalttätiges Verhalten eines Passagiers, das zu einer Flugumleitung führt.
Die Ausgleichsansprüche sind in Art 7 Abs 1 pauschal und gestaffelt nach der Flugdistanz festgelegt:
• 250 Euro bei allen Flügen über eine Entfernung von maximal 1.500 Kilometern
• 400 Euro bei allen innergemeinschaftlichen Flügen über eine Entfernung von mehr als 1.500 Kilometern und bei allen Flügen über eine Entfernung zwischen 1.500 und 3.500 Kilometern
• 600 Euro bei allen sonstigen Flügen
Bei Flügen in Teilstrecken ist die Entfernung zwischen dem Startflughafen und dem letzten Zielort (Endziel) entscheidend (vgl Art 7 Abs 1 UAbs 1).
2. Unterstützungsleistungen
Art 8 räumt dem Fluggast bei Nichtbeförderung, Annullierung sowie im Falle einer Verspätung von mindestens fünf Stunden verschiedene Unterstützungsleistungen ein. Der Fluggast kann wahlweise eine vollständige Erstattung der Flugscheinkosten, einen Rückflug zum ersten Abflugort sowie – bei Nichtbeförderung und Annullierung – eine anderweitige Beförderung zum Endziel unter vergleichbaren Reisebedingungen verlangen.
3. Betreuungsleistungen
Die vom Luftfahrtunternehmen nach Art 9 zu erbringenden Betreuungsleistungen bestehen je nach den Umständen des Einzelfalls aus Mahlzeiten und Erfrischungen, einer Hotelunterbringung samt Beförderung zwischen Flughafen und Hotel und zwei Kommunikationsmöglichkeiten mit Telefon, Fax, Telex oder E-Mail.
Anrechnung
Die Ansprüche nach der Fluggastrechte-VO stehen dem Fluggast grundsätzlich kumulativ zu. Der Fluggast verliert nicht etwa durch die Inanspruchnahme einer anderweitigen Beförderung den ihm zustehenden Ausgleichsanspruch.
Nach Art 12 stehen die Fluggastrechte auch weitergehenden Schadenersatzansprüchen nicht entgegen, jedoch kann die gewährte Ausgleichsleistung angerechnet werden. Der OGH hat insoweit vor kurzem klargestellt, dass der Ausgleichsanspruch nach österreichischen Recht entsprechend den Regeln der Vorteilsanrechnung sowohl auf materielle als auch immaterielle Schadenersatzansprüche anzurechnen ist.
Stark gekürzter und bearbeiteter Auszug des Fachbeitrags „Ansprüche nach der Fluggastrechte-VO“ von MANZ-Autor Sebastian Löw. Den gesamten Text inklusive weiterer Details zur EuGH-Rechtsprechung und Verweisen finden Sie in der Printausgabe 3/2022 der „Zeitschrift für Verbraucherrecht“ (VbR).