BERUFSRECHTLICHE BESCHRÄNKUNGEN VON LEGAL-TECH-ANWENDUNGEN
Legal Tech und (anwaltliches) Berufsrecht
Legal-Tech-Anwendungen sind auf dem Vormarsch. Bei deren Nutzung sind jedoch berufsrechtliche Beschränkungen zu beachten, erläutern die MANZ-Autoren Philipp Nöhrer und Tobias Weidinger.


Als Sammelbegriff beschreibt „Legal Tech“ verschiedenste Arten von IT-Software, die juristische Arbeitsprozesse unterstützt und unter Umständen sogar ersetzen kann. Dies reicht von Software zur anwaltlichen Arbeits- und Büroorganisation über die Sachverhaltsaufklärung (sogenannte E-Discovery-Software) und die Erstellung von Verträgen, Anträgen oder Klageschriften bis hin zur Nutzung von Smart Contracts und Künstlicher Intelligenz für vollständig automatisierte Rechtsdienstleistungen.
Überblick:
Rechtsgeneratoren und Legal Robots
Anwaltliche Sorgfaltspflichten
Rechtsgeneratoren und Legal Robots
Zwei wesentliche Anwendungsbereiche für Legal-Tech-Anwendungen sind Rechtsgeneratoren und Legal Robots. Rechtsgeneratoren können – innerhalb enger Grenzen und thematisch stark beschränkt – eine rechtliche Beurteilung nach Eingabe eines Sachverhalts abgeben. Der Sachverhalt wird dabei in der Regel mittels eines (statischen oder dynamischen) Fragebogens ermittelt. Einfache Anwendungsbereiche sind zum Beispiel Gebühren- und Fristenrechner, die automatische Bearbeitung von Eingaben im elektronischen Mahnverfahren oder die Prüfung und Durchsetzung von Verbraucherrechten.
Im Gegensatz zu Rechtsgeneratoren können sogenannte Legal Robots selbständig rechtliche Beurteilungen treffen. Sie sind somit in der Lage, gewisse juristische Tätigkeiten, die normalerweise von einem Menschen erbracht werden, zu übernehmen. Für die technische Umsetzung muss in irgendeiner Form auf Künstliche Intelligenz (KI) bzw. Machine Learning (ML) sowie Natural-Language-Processing (NLP) zurückgegriffen werden.
§§ 9 und 10 RAO bilden die Grundlage der standesrechtlichen Pflichten des Rechtsanwalts. Von besonderer Bedeutung sind hierbei die anwaltliche Sorgfalts- und Verschwiegenheitspflicht sowie die Pflicht des Rechtsanwalts, Ehre und Ansehen des Standes zu wahren. Welche berufsrechtlichen Beschränkungen sind nun beim Einsatz von Legal-Tech-Anwendungen besonders zu beachten?
Anwaltliche Sorgfaltspflichten
Nach § 9 Abs 1 RAO ist der Rechtsanwalt dazu verpflichtet, die Rechte seiner Mandanten mit Treue, Eifer und Gewissenhaftigkeit zu vertreten. Eine Verletzung der Pflicht zur Gewissenhaftigkeit kann unseres Erachtens beispielsweise dann vorliegen, wenn der Rechtsanwalt einen – durch Legal Tech automatisiert erstellten – Schriftsatz nicht sorgfältig überprüft. Eine Verletzung der Pflicht zur eifrigen Ausübung der Rechtsvertretung begründet eine Berufspflichtverletzung und hat unter Umständen auch die zivilrechtliche Haftung des Rechtsanwalts zur Folge.
Ein wesentlicher Aspekt der anwaltlichen Sorgfaltspflichten betrifft die Sachverhaltsfeststellung: Der Rechtsanwalt darf sich nicht auf die (unangeleitete) Tatsachendarlegung des Mandanten verlassen, sondern muss durch Befragung des Mandanten aktiv zu einer umfassenden Sachverhaltsermittlung beitragen. Diese Pflicht trifft den Rechtsanwalt unseres Erachtens auch beim Einsatz von Legal-Tech-Anwendungen. Bedient sich daher der Rechtsanwalt für die Aufnahme eines Sachverhalts eines Online-Formulars, so hat er die darin angegebenen Informationen zu überprüfen und allenfalls erforderliche Ergänzungen zu erfragen.
Ferner ist die Nutzung von Legal-Tech-Anwendungen mit KI-Technologie aus Sicht des Berufsrechts dann problematisch, wenn der Rechtsanwalt die Entscheidungen der KI nicht mehr nachvollziehen kann. KI stellt – aufgrund der Komplexität des Programms – regelmäßig eine „Black-Box“ dar, deren Lernprozess nur schwer nachvollziehbar ist. Das Kriterium der Erfüllbarkeit der (anwaltlichen) Sorgfaltspflichten muss daher bereits bei der Konzeption von Legal-Tech-Anwendungen bedacht werden.
Anwaltliche Verschwiegenheitspflicht
Die Verschwiegenheitspflicht nach § 9 Abs 2 RAO ist laut stRsp des OGH eine unabdingbare Voraussetzung der anwaltlichen Berufsausübung und folgt aus dem Gebot der Treuepflicht gegenüber dem Mandanten. Das Umgehungsverbot der Verschwiegenheitspflicht umfasst auch Personen, denen der Rechtsanwalt aufgrund vertraglicher Beziehung geschützte Informationen preisgibt. Dabei ist ebenso an den Legal-Tech-Anbieter zu denken: Diesem werden in der Regel zur Erbringung seiner Dienstleistung Mandanteninformationen übermittelt.
Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang auch die Relevanz von Cloud-Dienstleistungen für die Nutzung von Legal-Tech-Anwendungen. Zunehmend wird Software nicht mehr als (lokale) On-Premise-Lösung verkauft, sondern im Sinne von Software-as-a-Service aus der Cloud oder sonstigen externen Rechenzentren betrieben.
Um als Rechtsanwalt Dienste zur elektronischen Datenverarbeitung seitens externer Dienstleister in Anspruch nehmen zu können, sind jedoch zahlreiche Voraussetzungen zu beachten. Durch die Neuregelung in § 40 Abs 3 RL-BA 2015 wurde immerhin klargestellt, dass nun auch Rechtsanwälte – unter strengen Voraussetzungen – Daten in der Cloud speichern dürfen. Dies wird unseres Erachtens positive Auswirkungen auf die Entwicklung von Legal-Tech-Anwendungen in Österreich entfalten.
Problematischer als die Nutzung von Cloud-Dienstleistungen erscheint die Verwendung von Mandantendaten als Trainingsdaten für KI-Anwendungen. Zwar kann der Rechtsanwalt von der Verschwiegenheitspflicht durch den Mandanten entbunden werden, jedoch muss er auch nach der Entbindung sorgsam die drohenden Nachteile abwägen, die mit der Offenlegung von Mandanteninformationen verbunden sein könnten. Neben den Vorgaben der DSGVO muss somit darauf Bedacht genommen werden, dass es zu keiner Verletzung der anwaltlichen Verschwiegenheitspflicht kommt.
Verbot der Winkelschreiberei
Insbesondere wenn Legal Tech im B2C-Bereich angeboten wird und dem Endkunden personalisierte Lösungen gegen Entgelt ermöglicht werden, muss geprüft werden, ob es hierdurch nicht zu einem Eingriff in den geschützten anwaltlichen Tätigkeitsbereich – und daher zu einem Verstoß gegen das Winkelschreibereiverbot – kommt. Allgemein umfasst das Verbot der Winkelschreiberei jede Tätigkeit, die einem Rechtsanwalt vorbehalten ist.
Nach § 1 lit a WinkelschreibereiV ist das Verfassen von gerichtlichen Eingaben und die Parteienvertretung bei absoluter und relativer Anwaltspflicht jedenfalls unzulässig. Nach § 1 lit b WinkelschreibereiV ist es des Weiteren unzulässig, Rechtsurkunden oder Eingaben in einem Gerichtsverfahren ohne Anwaltszwang zu verfassen, soweit dies gegen Entgelt bzw. einen geldwerten Vermögenswert erfolgt oder die Gewerbsmäßigkeit aufgrund anderer Umstände angenommen werden kann.
Dem Rechtsanwalt ist nach § 5 RL-BA 2015 jegliche Form der Begünstigung von Winkelschreiberei untersagt. Der Rechtsanwalt darf sich auch nicht an einer Gesellschaft beteiligen, die unzulässigerweise den Rechtsanwälten vorbehaltene Tätigkeiten ausübt. Eine Förderung der Winkelschreiberei stellt ein Disziplinarvergehen dar.
Hinsichtlich der Zulässigkeit von Legal-Tech-Anwendungen wird insbesondere das in § 1 lit b WinkelschreibereiV vorgesehene Verbot relevant sein, weil Legal-Tech-Anwendungen in der Regel gewerbsmäßig – und nicht im Anwendungsbereich der lit a leg cit – betrieben werden. Sie dürfen daher innerhalb des geschützten Bereichs nur zur anwaltlichen Unterstützung genutzt werden.
Winkelschreiberei und Quota-litis-Verbot
Das berufsrechtliche Verbot der Quota-litis-Vereinbarung – oft auch als Streitanteilsvereinbarung bezeichnet – ist in § 879 Abs 2 Z 2 ABGB geregelt und nach der Rsp des VfGH verfassungsrechtlich unbedenklich. Der Zweck des § 879 Abs 2 Z 2 ABGB ist umstritten, wird jedoch von der stRsp insbesondere im Schutz des Mandanten vor Ausbeutung durch den „Rechtsfreund“ gesehen.
Unter den Begriff „Rechtsfreund“ fallen nicht nur Rechtsanwälte, sondern auch Notare, Steuerberater und Wirtschaftstreuhänder. Die herrschende Ansicht subsumiert den Prozessfinanzierer nicht unter diesen Begriff. Der OGH hat jedoch bereits – unter anderem aus Rechtsscheinsgesichtspunkten – ausgesprochen, dass das Verbot der Quota-litis-Vereinbarung auch auf Winkelschreiber zur Anwendung kommen soll.
Ob ein prozentuales Erfolgshonorar durch einen Legal-Tech-Anbieter wirksam vereinbart werden kann, wird unseres Erachtens nur anhand einer Einzelfallanalyse beurteilt werden können. Bei einem Verstoß gegen das Winkelschreiberei-Verbot sind etwaige Quota-litis-Vereinbarungen jedenfalls nichtig.
Stark gekürzter Auszug des Beitrags „Berufsrechtliche Einschränkungen der Nutzung von Legal-Tech-Anwendungen“ aus der MANZ-Zeitschrift ÖJZ (Österreichische Juristen-Zeitung). Viele weitere Details und praxisorientierte Fallbeispiele finden Sie in der Printausgabe ÖJZ 4/2022.