KÜNSTLICHE INTELLIGENZ UND JUSTIZ 3.0
Der Einsatz von KI in der Justiz
Die Unterstützung durch Künstliche Intelligenz (mit dem englischen Ausdruck auch als A.I. bzw. Artificial Intelligence bezeichnet) hält Einzug in den Gerichtsalltag. Ein Gastbeitrag von Elisabeth Paar zeigt auf, wo die österreichische Justiz steht und welche Rolle KI am Weg zur eJustiz spielt.

Künstliche Intelligenz hat in den letzten Jahren viele Bereiche des Lebens stark verändert. Auch in der heimischen Justiz wird bereits heute teilweise auf KI zurückgegriffen. Wie das aktuelle Regierungsprogramm zeigt, dürfte sich dieser Trend künftig fortsetzen.
Blickt man nun auf die aktuell in der Justiz verwendeten KI-Systeme, so sind diese dem Grunde nach als positiv zu qualifizieren. Es wurden durchgehend Einsatzbereiche und Anwendungen gewählt, die zu einer Effizienzsteigerung gerichtlicher Routine- und Hintergrundtätigkeiten führen. Gleichzeitig wurde von KI-Technologien abgesehen, die besonders sensible Bereiche bzw. Aufgaben betreffen oder eine Einschränkung der richterlichen Entscheidungsbefugnis zur Folge haben.
Von Machine Learning bis Natural Language Processing
Ein Überblick über die bisherigen Ansatzpunkte für die Verwendung künstlicher Intelligenz in der Justiz:
- KI zur Erfassung, Strukturierung und Aufbereitung digitaler Akten
Seit 2018 kommt KI zur Erleichterung der Datenerzeugung zum Einsatz. Damit ist die Analyse von Dokumenten gemeint, auf deren Grundlage das System Vorschläge zur Dokumentenbezeichnung erstellt. Die so erzeugten Erfassungsvorschläge sind eine wesentliche Erleichterung bei der Datenerfassung.
Die Eingaben der Parteien bilden zumeist unstrukturierte Daten, weil es sich dabei in der Regel um Dokumenttypen aller Art handelt. Bevor Dokumente ihrem Inhalt nach analysiert werden können, bedarf es somit im ersten Schritt einer Umwandlung unstrukturierter Dokumente in strukturierte Verfahrungsdaten. Die Strukturierung erfolgt über semantische Analysemodelle. Liegen strukturierte Verfahrensdaten vor, können im nächsten Schritt aus den einzelnen Dokumenten mit Hilfe von KI Schriftsätze, Metadaten und Muster extrahiert werden.
- KI zur Optimierung interner Workflows
Der Einsatz von KI betrifft hier primär das Erkennen justizinterner Zuständigkeiten. Grundlage für eine Zuordnung durch das KI-System bildet die feste Geschäftsverteilung, wie sie gemäß Art 87 Abs 3 B-VG erforderlich ist. Aufgrund der Eingaben an das Gericht und der darin enthaltenen Informationen erkennt das KI-System, welcher Richter für den konkreten Akt zuständig ist.
Ausweitungen dieses technischen Lösungsansatzes auf weitere Bereiche sind geplant. Diese haben den Verfahrungsablauf und dessen Bewältigung durch die Justiz insgesamt zum Gegenstand: Künstliche Intelligenz soll zur vollständigen Abbildung ausgewählter Verfahrungsschritte eingesetzt werden.
- KI zur Anonymisierung von Gerichtsentscheidungen
Gemäß § 15 Abs 4 OGHG dürfen Entscheidungen nur veröffentlicht werden, wenn all jene Elemente der Entscheidung unkenntlich gemacht sind, die Rückschlüsse auf die betreffende Rechtsakte zulassen. Dies umfasst insbesondere Namen, Anschriften und erforderlichenfalls auch sonstige Orts- und Gebietsbezeichnungen, nicht jedoch Richter und Parteienvertreter.
Bis dato wurde die Anonymisierung manuell durch menschliches Personal vorgenommen, wobei die Ressourcen beschränkt waren. Dies hatte zur Folge, dass weitestgehend nur Entscheidungen des OGH über das Rechtsinformationssystem der Öffentlichkeit zugänglich gemacht wurden. Mit Hilfe von KI soll es nun zur Automatisierung der Anonymisierung von Gerichtsentscheidungen kommen. Dabei handelt es sich um Systeme, die dem Bereich des Machine Learning (ML) bzw. des Natural Language Processing (NLP) zuzurechnen sind. Ziel ist die Identifizierung von Entitäten bzw. Metadaten in Gerichtsentscheidungen, um die erforderlichen Stellen unkenntlich machen zu können.
- KI im Rahmen der Rechtsrecherche
Automatisierte Literaturrecherche ermöglicht es dem Richter, Beiträge aller Art zu den für ihn relevanten Rechtsfragen aufzufinden. Die Grundlage einer solchen Recherche bilden die gängigen Rechtsdatenbanken.
Der Vorteil KI-basierter Rechtsrecherche besteht darin, dass nicht mehr nur einzelne Wörter in Dokumenten mit den Suchbegriffen abgeglichen werden können. Das KI-System erkennt auch Synonyme und entwickelt im Zuge der Lernphase anhand der Trainingsdaten ein gewisses „Verständnis“ für den Kontext.
- KI-basierte Spracherkennung in der Justiz
Bereits seit 1997 wird in der Justiz auf Spracherkennungssysteme zurückgegriffen. Zumeist handelt es sich hierbei um lernende Systeme, die dem Unterbereich des Natural Language Processing (NLP) zugerechnet werden können. Die Erkennungsquote wird schrittweise optimiert – durch die zusätzliche Integration eines Justizwortschatzes, der auf in RIS verfügbaren OGH-Entscheidungen fußt, sowie durch die Einspeisung des von den Benutzern hinzugefügten Vokabulars in den Gesamtwortschatz.
Der gezielte Einsatz kann zu einer wesentlichen Effizienzsteigerung und damit zu einer Verkürzung der Verfahrensdauer führen. Auf die Übertragung des vom Richter während der Verhandlung Protokollierten in Volltext durch eine Person muss nicht mehr gewartet werden. Diese findet simultan während der Verhandlung statt. Missverständnisse können direkt vor Ort besprochen werden.
Auch für die Justiz gilt: Nicht alles, was technisch möglich ist, ist auch rechtlich zulässig
Der Rückgriff auf KI in der Justiz steckt dennoch noch in den Kinderschuhen. Künftig wird es vermehrt nicht nur der Betrachtung des technisch Möglichen, sondern auch der rechtlichen Zulässigkeit bedürfen. Und da die Rechtsordnung abänderbar ist, bleibt schlussendlich die zentrale Frage, was wir als rechtlich zulässig normieren wollen – als Rechtsstaat, als Gesellschaft und nicht zuletzt als Menschen.
Stark gekürzter Auszug aus dem Fachbeitrag „Einsatz künstlicher Intelligenz in der Justiz. Eine Bestandsaufnahme“ der MANZ-Autorin Elisabeth Paar. Den gesamten Text finden Sie jetzt in Ausgabe 05/2021 der Österreichischen Juristen-Zeitung ÖJZ sowie online auf rdb.at.