Werner Zögernitz
Parlamentarismus im Herzen
Das Corona-Virus hält sämtliche Bereiche menschlichen Zusammenlebens in Schach. Auch Werner Zögernitz ist in einer Art Ausnahmezustand. Der Präsident des Instituts für Parlamentarismus und Demokratiefragen ist wie alle anderen Parlamentsmitarbeiter im Home-Office. Er geht jeden zweiten Tag in sein Büro im Palais Epstein, um sich von dort Akten zu holen. Denn so viele Entscheidungen wie dieser Tage musste das österreichische Parlament noch nie treffen. „Unlängst waren es fast 100 neue Gesetze an einem Tag, das ist normalerweise das Pensum für ein ganzes Jahr“, sagt Zögernitz, der seit 1970 den Betrieb kennt und wie kaum ein anderer das Geschehen dort mitgestaltet. „Es ist also in jeder Hinsicht ein Ausnahmezustand“, sagt er, und dass das Parlament in dieser überaus kritischen Situation so gut funktioniere, ein Zeichen, wie tragfähig das demokratische System Österreichs ist.
Über die Demokratie denkt Werner Zögernitz im Grunde schon fast sein ganzes Leben nach. Geboren am 13. Februar 1943 in Wien, wuchs er in Laa/Thaya als Sohn des dortigen Finanzamtsleiters auf. „Wer seine Jugend am Eisernen Vorhang verbringt, weiß, wie wichtig die Freiheit ist“, erinnert er sich. Zögernitz ist ein Vielreisender, seit seinem 14. Lebensjahr hat er keinen Sommer mehr zu Hause verbracht. Nach der Matura 1961 ging er nach Wien, studierte Wirtschaft und Jus, „weil beides für mich gleich interessant war und ich mich nicht für eines der beiden Studien entscheiden konnte“, sagt er. Nach Abschluss des Studiums arbeitete er kurz in der Privatwirtschaft, bis ihn Stephan Koren 1970 zum Sekretär des ÖVP-Parlamentsclubs machte. Zögernitz erkannte schnell: Demokratie heißt Konsens und Kompromiss, „Verrechtlichung ist sehr wichtig, denn es geht um eine Vereinheitlichung von Entscheidungen“, sagt er; und er machte sich daran, einen Kommentar zur Geschäftsordnung des österreichischen Nationalrats zusammenzustellen, der 1981 fertig war. Damals hatte er 250 Seiten, die aktuelle Version, die dieser Tage bei MANZ erschienen ist, ist auf 1200 Seiten angewachsen. Und gerade in den letzten Jahren war „das parlamentarische Geschehen spannender denn jemals zuvor“, sagt Zögernitz, und meint die Wiederholung der Bundespräsidentenwahl, die Regelungen zu den Untersuchungsausschüssen, aber auch das Ausscheiden von Parteien aus dem Parlament, die Absetzung der Regierung durch einen Misstrauensantrag, die Expertenregierung – und aktuell schließlich die Corona-Krise.
„Ich bin auch immer auf der humanistischen Seite
und damit gegen jede Form von Rassismus“
Werner Zögernitz ist seit 50 Jahren an vorderster Front mit dabei. 1980 wurde er erster Klubsekretär, 1989 Parlamentsklubdirektor der ÖVP, zudem ist er seit vielen Jahren ÖVP-Mitglied der Bundeswahlbehörde. „Ich kenne nicht nur die Gesetze, sondern auch die Praxis“, betont er. Als er 2009 in Pension ging, hat er auf eine überparteiliche Initiative hin das „Institut für Parlamentarismus und Demokratiefragen“ gegründet, im Rahmen dessen er als Berater in Geschäftsordnungsund Verfassungsfragen sehr oft um Stellungnahmen gebeten wird, „auch über Parteigrenzen hinaus“, sagt er.
Persönliches Anliegen für die österreichische Demokratie sind ihm ein starker Nationalrat, der auch Minderheitsrechte miteinbezieht, und somit gesellschaftliche Kräfte ausbalanciert „Ich bin auch immer auf der humanistischen Seite und damit gegen jede Form von Rassismus“, sagt er mit Nachdruck, das seien seine Grundwerte, an denen er sich sein ganzes Berufsleben lang orientiert habe, weil er ein Weltbürger sei, sagt er und ist stolz darauf, in 140 von 193 Ländern dieser Erde gewesen zu sein. „Von der Antarktis bis zum Nordpol, ich habe alles gesehen“, sagt er. Besonders eindrucksvoll war der Staatsbesuch 1977 in China kurz nach der Öffnung des Landes. Zögernitz ist aber auch privat viel unterwegs, hat die Karibik auf einem Kreuzfahrtschiff bereist und war sogar in Papua-Neuguinea.
Aber auch im Alltag ist Zögernitz, der nach dem Tod seiner Frau alleine lebt, voll ausgelastet. Er arbeitet täglich, hat ein Abonnement in der Josefstadt und eines in der Oper. „Ich gebe zu, ich höre gerne berühmte Sänger und Sängerinnen“, sagt er. Zudem spielt er, der sein Leben lang sportlich war, immer noch Tennis auf der Marswiese. Oder er trifft sich mit Freunden, um mit ihnen über Politik zu diskutieren. „Alle Abende in der Woche sind normal zugepflastert mit Terminen“, lacht er und freut sich auf den Tag, wenn das Parlament wieder auf Normalbetrieb umschalten kann. Bundespräsident Alexander van der Bellen sagte kürzlich, Österreichs Verfassung sei elegant, „die Geschäftsordnung des Parlaments ist es ebenso“, sagt Zögernitz. Sie wird auch die Corona-Krise überstehen, ist er sich sicher.